Filderstädter Mitteilungen aus Umwelt- und Naturschutz 1995/1996


Heilpflanzen einst und heute

Carsten Wagner
Apotheker

"Do wachet amol i ra Novembernacht a g'wachsener Bua am Krankabett sei's Vattersch, ('s soll i's Ruckles Haus i der Reuthe, mo der Mühlacker druf ra lauft, g'wea sei) as ebbes am Feanschter gega dGaß, druimol leicht klopfet. Der Bua schtand uf vom Schtuahl, gucke dur dScheibe naus, seah aber Niamed, doch hair ear ganz deutlich a fremde Schtimm saga: "Esset Brau'nella, no schterbt er net älla!"
Braunella seia glücklicherweis em Haus g'wea; dear Bua geab seim Vatter de ganz Nacht ei, em Moargeds sei dear besser g'wea und ao wiader ufkomma.
Wia Fuier häb se dös Wunder dur da Ort verbroatet; händvollweis häba Kranka und G'sunda, ao für da Hunger gessa und der Schterbet häb ufg'hairt, so daß vo deam a, ao net a Oazichs maih g'schtorba sei."

Soweit das Zitat aus der Ortschronik von Plattenhardt von Pfarrer Martin Bürkle über das Ende der Pest im Jahre 1635.

Seit Urzeiten haben Menschen versucht, Krankheiten mit natürlichen Mitteln zu heilen oder zu lindern. Unsere traditionsreichsten Arzneien sind dabei die Heilpflanzen.

Viele der in Filderstadt vorkommenden Pflanzenarten besitzen eine heilende Wirkung. Die Anwendung dieser Heilpflanzen beruht meist auf der Überlieferung der volkstümlichen Erfahrung. Doch auch die moderne Medizin versucht, aus dem Riesenschatz der traditionellen Heilpflanzen diejenigen herauszufiltern, deren Anwendung wissenschaftlichen Maßstäben genügt.

Die Ziele der modernen Phytotherapie (wörtlich übersetzt: "Behandeln mit Pflanzen") sind folgende:

  • wirksame Pflanzen bzw. Pflanzeninhaltsstoffe zu erkennen und zu identifizieren

    • Die von Bürkle beschriebene Therapie der Pest würde diesem Anspruch sicher nicht genügen, sie ist wohl den Sagen zuzuordnen.

  • Nebenwirkungen von Pflanzenanwendungen zu erkennen und auszuschließen

    • Die landläufige Meinung, Heilpflanzen seien ohne Nebenwirkungen, ist grundlegend falsch. Viele pflanzliche Zubereitungen können gefährliche Nebenwirkungen hervorrufen, wie etwa die Anwendung von Sennesblättern als Abführmittel während der Schwangerschaft.

  • die wirksamen Pflanzeninhaltsstoffe zu isolieren

  • für die entsprechenden wirksamen Pflanzeninhaltsstoffe eine sinnvolle Dosierung festzulegen

    • So erfordern zum Beispiel die hochwirksamen Herzglykoide des Fingerhutes eine sehr genaue Dosierung, um Vergiftungen zu vermeiden.

  • zu erforschen, unter welchen Voraussetzungen die wertvollsten Heilpflanzen gewonnen werden können.

    • Boden und Klima haben ebenso einen Einfluß auf die Inhaltsstoffe wie der richtig gewählte Erntezeitpunkt und eine schonende, sofort an die Ernte anschließende Verarbeitung (z.B. Trocknung).

Nach der Ernte werden die wirksamen Pflanzenteile meist durch Trocknung haltbar gemacht. Die getrocknete Ware nennen wir Droge (nicht zu verwechseln mit Rauschmitteldrogen!). Bekannte Drogen sind z.B. Pfefferminzblätter, Ringelblumenblüten, Faulbaumrinde und Leinsamen.

Eine Expertenkommission im ehemaligen Bundesgesundheitsamt hat das Heer der in Deutschland verwendeten Heilpflanzen durchkämmt und diejenigen herausgesucht, deren Wirkung bei einer bestimmten Erkrankung zu beweisen ist. Für jede dieser Pflanzen wurde dann eine Art Steckbrief, eine sogenannte Monographie, erstellt, in der die Droge in ihren Eigenschaften und Wirkungen beschrieben ist. Insgesamt wurden von der Kommission 360 verschiedene Drogen bearbeitet. Die positiv bewerteten Monographien bilden die Grundlage des in der Apotheke verwendeten Schatzes an Arzneipflanzen. Ständige Kontrollen während der Verarbeitung sowie in der Apotheke garantieren dann hohe Qualitätsnormen hinsichtlich des Gehaltes an Wirkstoffen in den einzelnen Drogen. Sie unterscheiden sich damit deutlich von landläufigen "Feld - Wald - Wiesenmischungen".

Welche Stoffe in den Pflanzen heilen denn nun? Von den unzähligen Verbindungen, die in jeder Pflanze vorkommen, wird folgenden Verbindungen eine Heilwirkung zugeschrieben:

Ätherische Öle: Sie kommen in allen aromatisch riechenden Pflanzen vor wie etwa Kamillenblüte, Pfefferminzblätter und Kümmelsamen.
Alkaloide: Sie sind schon in geringsten Mengen stark wirksam. Bekannte Beispiele sind Codein, Nicotin und Atropin.
Bitterstoffe: Drogen mit Bitterstoffen werden meist als Magen-Darm-Mittel eingesetzt (Beispiel: Enzianwurzel).
Fette Öle: Hierzu zählt das Rizinusöl.
Gerbstoffe: Sie sind in sehr vielen Pflanzenarten enthalten. Bekannt sind: Salbeiblätter und Eichenrinde.
Glykoside: Dies sind kompliziert gebaute Verbindungen mit spezifischer Wirkung. Häufig angewendet werden z.B. die herzwirksamen Glykoside des Fingerhutes.
Saponine: Saponine sind pflanzliche Seifenstoffe.
Schleimstoffe: Enthalten in Drogen wie dem Leinsamen oder dem Isländischen Moos.

So unterschiedlich wie die verwendeten Pflanzenteile und die wirksamen Inhaltsstoffe sind, so unterschiedlich muß auch die Zubereitung der Drogenauszüge erfolgen. Folgende Zubereitungen sind im Hausgebrauch üblich:

Aufguß (Infus): Tees aus Blatt- und Blütendrogen werden durch Übergießen mit kochendem Wasser und anschließendem, knapp zehnminütigem Ziehen zubereitet (Beispiel: Pfefferminzblätter).
Abkochung (Decoct): Harte Drogen wie Wurzeln, Rinde und Hölzer werden zur Teebereitung 5 bis 10 Minuten ausgekocht (Beispiel: Süßholzwurzel).
Kaltwasserauszug (Mazerat): Schleimhaltige Drogen werden mehrere Stunden im kalten Wasser ausgezogen (Beispiel: Eibischwurzel).
Öliger Auszug: Bestimmte Drogen werden mehrere Tage in pflanzlichen Ölen ausgezogen (Beispiel: Johanniskraut).
Alkoholischer Auszug: Drogen mit Bitterstoffen und ätherische Öle können in Alkohol extrahiert werden (Beispiel: Schwedenkräuter).
Breizubereitungen: Pulverisierte Drogen werden mit Wasser zu einem Brei angerührt (Beispiel: Senfwickel).

Daneben bietet sich im Haushalt die Verwendung von Instanttees oder von Teebeuteln an, die hinsichtlich Dosierung und Freisetzung der Wirkstoffe viele Vorteile bieten.

Viele Heilpflanzen lassen sich aber nur mit aufwendigen Verfahren extrahieren und sinnvoll nutzen, so daß sie nur für eine industrielle Verarbeitung in Frage kommen. Als Folge davon sind ein Drittel aller weltweit hergestellten Fertigarzneimittel Phytopharmaka und sogar 80% aller Fertigarzneimittel sind in irgend einer Weise pflanzlichen Ursprungs, etwa über Syntheseausgangsstoffe. Als Tinkturen, Dragees, Säfte, Salben und Zäpfchen stehen dem Patienten somit eine weitere große Zahl von Heilpflanzen in der jeweils optimalen Anwendungsform zur Verfügung. Nutzen wir diesen reichen Schatz an Heilpflanzen, den die Natur uns bietet!

Übersicht über die Eigenschaften einiger häufig verwendeter Drogen

Blattdrogen

Pflanze:Wirkung:
Bärentraubeharnantiseptisch
Birkeharntreibend
Melisseverdauungsfördernd
Pfefferminzkrampflösend bei Magen- und Darmbeschwerden
Salbeibei Mund- und Rachenentzündungen
Sennesabführend
Weißdorn (Blatt u. Blüte)herzkräftigend

Blütendrogen

Pflanze:Wirkung:
Arnikaheilungsfördernd bei Verstauchungen und Prellungen
Holunderschweißtreibend
Kamilleentzündungshemmend, krampflösend, wundheilend
Lavendelberuhigend
Lindeschweißtreibend
Gewürznelkedesinfizierend
Ringelblumewundheilungsfördernd, entzündungshemmend
Königskerzebei Husten: auswurffördernd, reizlindernd

Früchtedrogen

Pflanze:Wirkung:
Anisbei Husten: auswurffördernd
Fenchelauswurffördernd, blähungstreibend, krampflösend
Hagebuttevitaminreich
Heidelbeerebei Durchfall
Kümmelkrampflösend, sekretionsfördernd
Mariendistelleberschützend
Pfefferanregend
Wacholderharntreibend

Krautdrogen

Pflanze:Wirkung:
Brennesselharntreibend
Frauenmantelzusammenziehend
Goldruteharntreibend
Johanniskrautentzündungshemmend
Mistelblutdruckregulierend
Schachtelhalmharntreibend
Schafgarbeappetitanregend
Tausendgüldenkrautappetitanregend
Thymianhustenlösend
Weidenröschenbei Prostataerkrankungen
Wermutappetitanregend

Wurzeldrogen

Pflanze:Wirkung:
Baldrianberuhigend
Eibischhustenstillend
Enzianappetitanregend
Liebstöckelharntreibend
Primelhustenauswurffördernd
Rhabarberabführend
Süßholzauswurffördernd, krampflösend
Iriszahnungsfördernd bei Kleinkindern

Sonstige Drogen

Pflanze:Wirkung:
Aloeabführend
Bohnenschalenharntreibend, schwach antidiabetisch
Chinarindeappetitanregend
Faulbaumrindeabführend
Flohsamenabführend
Isländisch Mooshustenreizlindernd
Kürbissamenbei Blasenschwäche und Prostatabeschwerden
Leinsamenabführend
Myrrhedesinfizierend, zusammenziehend
Senfdurchblutungsfördernd


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